"Gegrüßet seist du Maria voll der Gnade..."
So beginnt das nach dem Vaterunser wohl bekannteste Gebet der Christen. In den ersten Jahrhunderten des Christentums, als sich die neue Religion nach und nach ihre Form gab, stellten sich die Menschen viele Fragen. So auch diese:
Was geschieht eigentlich, wenn ein Mensch, der voller Gnade ist, ein Mensch wie Maria, stirbt? Unser Gott ist ein treuer Gott, gerade auch im Tod. Wir glauben doch an die Auferstehung. Muss sich das nicht gerade an Maria, der Mutter Jesu ganz besonders zeigen?
So verbreitet sich langsam der Glaube an eine Aufnahme Marias in den Himmel.
Schon vor dem Konzil von Ephesus im Jahre 431 gibt es in Jerusalem ein Fest, das Maria gewidmet ist. Es entspricht dem Dies natalis, dem Himmelsgeburtstag, d.h. dem Todestag der Märtyrer. Zuerst wird es um Weihnachten gefeiert. Aber schon um 600 wird das Fest auf den 15. August verlegt. Das ist bis heute so geblieben. Und so wird auch am Feiertag wieder in vielen Gottesdiensten und Predigten an Maria, die Mutter Jesu, erinnert.
Warum es überhaupt in den ersten Jahrhunderten zum Aufkommen einer Marienfrömmigkeit kam hat allerdings nicht nur theologische Gründe.
Die heidnischen Kulte verehrten viele Muttergottheiten, und die alten Kirchenväter setzten alle Hebel in Bewegung, damit man Maria nicht mit ihnen verwechselt. Die heidnischen Kulte pflegten die Muttergottheiten, weil das mütterliche Element in der Religion ungeheuer wichtig ist. Das gilt auch für die der Christen. Die Stadt Ephesus in der heutigen Türkei ist ein laut sprechendes Symbol dafür. Sie ist der große antike Wallfahrtsort für die heidnische Göttin Diana. Und so wundert es nicht, dass sie nach dem Konzil von 431 Ausgangspunkt der Marienverehrung wird.
Denn hier wurde das älteste Dogma über Marias Gottesmutterschaft formuliert. Darin heißt es:
„Wer nicht bekennt, dass der Emanuel in Wahrheit Gott und die heilige Jungfrau deshalb Gottesgebärerin ist…….., der sei ausgeschlossen.“
Diese Definition enthält zunächst eine Aussage über Jesus von Nazaret, den Gottessohn, und im Zusammenhang mit ihm gibt sie auch Auskunft über seine irdische Mutter Maria. Die Lehre, dass Jesus, der Sohn Marias, auch als Mensch immer schon Gott gewesen ist, gilt als das Fundament christlichen Glaubens. In Marias Gottesmutterschaft liegt jede Lehre über Maria und jede Verehrung für Maria begründet. Katholische Christen beten keine Muttergottheit an. Sie verehren die Mutter Jesu Christi und bitten bei ihr um seine Hilfe.
Dem Fest der Aufnahme Marias in den Himmel begegnen manche Christen mit Verlegenheit...
...einmal weil es sich um eine „Himmelfahrt" handelt, wie es umgangssprachlich heißt, und wir damit meist nur symbolisch umzugehen gewohnt sind, zum zweiten weil es ein nicht biblisch, sondern aus der Tradition begründetes Marienfest ist; zum dritten weil es für die katholische Kirche 1950 als Dogma ausgesprochen wurde.
Carl Gustav Jung, der Psychologe und Symbolforscher, hat das Dogma von 1950 eine geniale Antwort der Kirche genannt, nämlich auf die Menschenverachtung und Wertlosigkeit des Lebens im letzten Weltkrieg, der gerade erst fünf Jahre vorbei war. Es sei eine Antwort auf den Zynismus, mit dem menschliches Leben in einem bisher unbekannten Ausmaß zerstört worden sei. Zugleich verstand er es aber auch als eine Antwort auf den Daseinsekel, der sich in der damals herrschenden geistigen Richtung, etwa dem Existentialismus, ausbreitete. Stattdessen drückt das Marienfest Zustimmung aus: Zustimmung zum Leib, der eine Himmelfahrt vor sich hat, nicht eine Höllenfahrt, nicht die Nachtmeerfahrt oder eine Fahrt ins Reich der Schatten, wie in den alten Mythen, aber auch nicht die Auflösung in ein „gar nichts mehr“ wie im Nihilismus. Gott ist ein treuer Gott und ein Bild dafür ist der weite Mantel der Mutter Gottes in meiner Lieblingsdarstellung Marias als Schutzmantelmadonna. Weit öffnet sich ihr Umhang und darunter finden groß und klein, arm und reich Schutz und Geborgenheit.
("Lebenszeichen" von Wolfgang Drießen im Saarländischen Rundfunk vom 14. August 2010)