... das fasst für mich viel von dem zusammen, um was es mir in der Pastoral geht: sensibel sein für Unrecht, sich nicht abfinden mit Strukturen und Verhältnissen, die Menschen ausgrenzen und ihnen das Lebensnotwendige vorenthalten - getragen vom Glauben an den Gott Israels und seinen Messias Jesus, wie die Bibel ihn bezeugt. Diese Traditionen der Befreiung erzählen von einem Gott, der die Schreie seiner Kinder hört, ihr Leid kennt und sie begleitet auf dem Weg aus Sklavenhäusern in eine Welt, die Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung seiner Schöpfung für alle verheißt.
Unsere Welt heute ist gezeichnet von Kriegen, Armut, Umweltzerstörung, Millionen Menschen, die auf der Flucht sind, und autoritären, menschenfeindlichen Ideologien.
An diese Traditionen der Befreiung zu erinnern, soll ein Beitrag sein im Ringen um eine würdige Zukunft für alle Menschen auf dieser Erde, d.h. gestärkt von der Hoffnung auf das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, sich nicht achselzuckend abzufinden mit der Welt, wie sie ist, sondern gemeinsam mit allen Menschen guten Willens Räume zu suchen, um über diese Welt hinauszudenken und die Hoffnung auf ein gutes Leben für alle zu verkünden und zu feiern.
Mir ist es wichtig, die jüdisch-christliche Tradition einem ökonomischen oder auch abstrakt-ewiggültigen Menschenbild entgegenzustellen:
- solidarische Menschwerdung
statt ego-zentrischer, selbst-optimierender Selbstwerdung
- Leben und Anerkennung in kultureller und religiöser Verschiedenheit
statt identitärer Ab- und Ausgrenzung
- Hoffnung auf den neuen Himmel und die neue Erde in Gerechtigkeit und Frieden
statt Resignation und Fatalismus.
Es ist die Erinnerung an den Namen Gottes „Ich bin da und gehe mit euch“, der die Traditionen der Befreiung begründet. Es ist der Name Gottes, der Befreiung aus Unrecht, Gewalt und Tod und das heißt: Leben in Fülle für alle verheißt.
Räume zu schaffen, an diese Traditionen der Befreiung zu erinnern, aus ihrer Kraft zu leben und sie zu feiern; Räume, in denen sich Menschen als Menschen begegnen und sich füreinander und für ein gutes Leben für alle einsetzen – das ist für mich Pastoral – und aller Mühe wert.