Seit Beginn meiner Tätigkeit ist mir immer wieder Leid in der unterschiedlichsten Form begegnet. Zu Anfang in der Arbeit im Dekanat: Leid aus Armut, aus Beziehungskonflikten, aus sozialer Ablehnung wegen Herkunft, aus Beeinträchtigungen oder durch zugefügte Gewalt. Alle diese Formen verbindet, dass das Leid versteckt wird: aus Scham, aus Sorge vor den Reaktionen des Umfeldes, aus der Erfahrung heraus, dass es niemand interessiert; oder aus Angst vor der Macht der Täter. Und umgekehrt ist die Konfrontation mit Leid unangenehm; da ist es menschlich, dem Leid auszuweichen und es nicht wissen zu wollen.
In den mehr als 20 Jahren, die ich für die Beratungsstellen des Bistums Verantwortung trage und in der Prävention gegen sexualisierte Gewalt arbeite, hat sich diese Erfahrung mit dem Leid fortgesetzt. Zugleich sind die Beratungsstellen Orte, wo sozial unsichtbares Leid gesehen werden darf. Und die Präventionsschulungen davon geprägt, wie man Leid sieht und erkennt, um Gewalt frühzeitig zu unterbrechen.
In dieser langen Zeit ist mir die Theologie von Johann Baptist Metz wichtig geworden. Er kritisierte, dass die Theologie zu wenig leidensempfindlich sei und apathisch selbst das sinnlosen Leiden von Unschuldigen zur Kenntnis nehme. Als notwendige Alternative dazu gibt er das Ziel einer „Compassion“ vor; die verlangt die Bereitschaft,“ uns selbst immer auch mit den Augen der Anderen, der leidenden und bedrohten Anderen, anzuschauen und einzuschätzen, und diesem Blickwechsel wenigstens um ein Geringes länger standzuhalten, als dies die spontanen Reflexe der Selbstbehauptung unseres Ich erlauben.“
Ein hohes Ziel, an dem ich auch immer wieder scheitere. Zum Glück gibt es viele Kolleg*innen, die Weggefährten sind und immer wieder “Sehhilfe” geben.