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Sandra Baltes

Gott malt in bunten Farben…

Klassisch konservativ katholisch sozialisiert bin ich am Rhein aufgewachsen, wo Kirche wie Karneval ihren festen Platz auch in meinem Alltag hatten. Kirche habe ich – vor allem in der Jugendarbeit – immer als einen guten Ort erlebt; als junge Leute konnten wir Verantwortung übernehmen, konnten gestalten – das hat mich in den Beruf geführt.

Nach mehr als zehn Jahren im Beruf merke ich, dass ich mich verändert habe; ich beziehe klarere Positionen. Ich trete für meinen Glauben ein, dass Gott diese Welt in bunten Farben malt, dass Gott diese Vielfalt will und durch sie wirkt, mit und durch alle Menschen, die eben bunt und einzigartig geschaffen sind. Sie alle haben den Auftrag, diese Welt (mit)zugestalten. Entscheidend ist doch, dass jede*r Mensch Talente und Fähigkeiten hat und sie zu diesem großen Auftrag einbringen soll und darf. Wir Menschen sind Gottes Farben, in uns liegen alle Möglichkeiten, die Welt bunt, gut und schön zu malen.

In den letzten Jahren habe ich aber auch deutlicher gesehen, dass Kirche auch dunkle Seiten hat: Das Be- oder Verharren auf „Das war bei uns immer so / haben wir noch nie so gemacht“ – das lässt die Menschen selbst und ihre Farben oft überhaupt nicht leuchten, das macht sie blass; da ist vieles grau geworden – auch für mich. Da haben auch vertraute Feste und Traditionen an Farbe verloren und sprechen inzwischen weder in mein Leben hinein noch in das Leben anderer Menschen.

Die Fragen nach Gott und Transzendenz, nach Sinn und nach der Hoffnung, die uns trägt, danach, was uns Vertrauen gibt, was im Leben prägt: diese Fragen stellen sich die Menschen immer weniger und immer seltener (oder wollen/können sich ihnen seltener und weniger intensiv stellen).

In bunten Farben malen

Die Fragen der Kinder (und der Erwachsenen)

Das erlebe ich auch bei meiner Arbeit im Fachteam für pastorale Begleitung katholischer Kindertageseinrichtungen. Da erzählen mir Erzieher*innen, wie schwer sie sich mit diesen großen Fragen tun. Ich versuche, mit ihnen Räume zu öffnen, in denen sie sich diese Fragen neu stellen können. Manchmal müssen sie sich den Fragen ja auch stellen und sich damit auseinandersetzen. Und sie können und dürfen das – gerade auch in einer kirchlichen Einrichtung. Das ist neu zu entdecken, weil auch Kirche normalerweise zu wenig Raum dafür gibt, dass Menschen in den Dialog kommen über Gott und die Welt.

Die Erzieher*innen erzählen immer wieder – und ich erlebe es auch als Mama von zwei Töchtern – dass Kinder ganz unverstellt und nachdrücklich die großen Fragen stellen – weil sie das alles brauchen: Hoffnung, Gemeinschaft, Vertrauen, Zugehörigkeit; einen Ort, wo sie fragen und suchen können. Ich erlebe es als eine Chance, den großen Fragen Raum zu geben und die Erzieher*innen zu stärken, dass sie die Kinder bei ihrem Suchen und Fragen und beim Finden ihrer ganz eigenen Antworten begleiten. Die Kinder erleben durch die Erzieher*innen Räume, in denen sie mit ihren Gedanken und Gefühlen ernst genommen werden, in denen sie sicher sind und spüren, dass es okay ist, anders zu sein als andere; dass es gut ist, dass sie sind, wie sie sind; dass sie alles mitbringen, was sie für ihr Leben brauchen.

Die dunkelste Seite von Kirche steht all dem in seiner ganzen Vielfarbigkeit entgegen – und damit den Menschen. Sei es in kirchlichen Strukturen, Regeln und starren Hierarchien, in denen Kirche verharrt, statt sich zu bewegen – da erfahren Menschen eben nicht, dass sie gut sind, so wie sie sind; sondern sie erleben Ausgrenzung und Diskriminierung. Bis hin zum immer noch problematischen und unwürdigen Umgang mit (der Aufarbeitung) sexualisierter Gewalt und jeder Form von (Macht)Missbrauch. Wenn Kirche (auch) so ist… – da gibt es Tage, an denen ich ganz schwarzsehe. Da erlebe ich viel zu oft, dass Kirche lieber Schadensbegrenzung betreibt und als Institution nur handelt, wenn sie mit dem Rücken zur Wand steht. Dabei hätte sie einzutreten für den Schutz von Menschen, die Gewalt erleiden oder erlitten haben. Schwarz sehe ich für eine Kirche, die ehrliche Aufarbeitung verzögert, die zu den dunklen Seiten und Verbrechen ihrer eigenen Vergangenheit (und Gegenwart) nicht stehen kann oder will.

„Wir sehen keineswegs schwarz“, war der Titel zum ersten kleinen Jubiläum der Pastoralreferent*innen 1984. Ich würde für mich heute sagen: „Ich will keineswegs nur schwarzsehen.“ Ich halte fest an meiner Überzeugung: Gott malt in bunten Farben! Ich glaube, dass Gott alles in die Menschen hineinlegt, damit sie die Welt zum Besseren gestalten können. Ich glaube, dass es der Kirche genau darum auch gehen muss.

Mich hat ein Wort von Karl Rahner seit meinem Studium begleitet: Ein Mensch bringt „denkend worthaft und in Freiheit das Ganze von Welt und Dasein vor sich und in die Frage…, mag er[*sie] auch dabei vor dieser einen und totalen Frage ratlos verstummen.“ Rahner meint die Frage nach Gott, ganz unabhängig davon, wen oder was Menschen mit dem Wort „Gott“ verbinden und wie sie die Frage nach „Gott“ beantworten, ob sie daran zweifeln, ob sie die Frage verneinen oder vor ihr verstummen. Die Suche nach „Gott“ ist im tiefsten Sinn eine Suche nach uns Menschen. Wenn es das Wort „Gott“ nicht mehr gäbe, wenn niemand es mehr denken, sprechen oder hören würde, dann wären wir Menschen nicht mehr vor das Ganze unserer Wirklichkeit, unserer Welt, gebracht, dann würden wir aufhören, nach etwas zu fragen, was größer ist als wir selbst oder was unserem Leben eine tiefere Bedeutung gibt; es würde fehlen, was uns lebendig hält. Was hielte uns Menschen dann noch zusammen?

Unser Auftrag ist nach wie vor, die Botschaft des Evangeliums in die Welt hineinzusprechen und unsere eigene Frage nach Gott, unsere großen Fragen, unser Suchen und Zweifeln zu leben und zu teilen. Manchmal gelingen diese kleinen und großen bunten Momente; manchmal gelingt es, das Wort „Gott“ lebendig zu halten. Dann bleibt auch der Mensch in der eigenen Tiefe lebendig. Kinder zeigen uns, wie das geht: unbeschwert, authentisch und voller Vertrauen in die Zukunft. Gott malt in bunten Farben – auch mit uns. Mit (uns in) der Kirche und manchmal auch gegen ihre dunklen Seiten.

Sandra Baltes

Sandra Baltes

Pastoralreferentin seit 2015
mit Stationen im Dekanat Simmern-Kastellaun
und Dekanat / Pastoraler Raum Merzig
seit September 2023 Teil des Fachteams Trier
für pastorale Begleitung katholischer Kindertageseinrichtungen im Bistum Trier

Mitglied der Sprecher*innenGruppe des Berufsverbandes bvpr