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Umgang mit Extremismus

Hier ist Generalvikar Ulrich Graf von Plettenberg  im Kreuzgang zusehen.

Vorwort des Generalvikars

In einer Welt, die zunehmend von Spannungen, Polarisierungen und radikalen Ideologien geprägt ist, sehen wir uns als Kirche im Bistum Trier in der Pflicht, einen klaren Standpunkt gegen Extremismus jeglicher Art einzunehmen. Extremistische Parteien oder Bewegungen widersprechen zutiefst dem Evangelium, der frohen Botschaft, die wir verkünden. Zugleich sehen wir uns als Christ*innen im Bistum Trier in der Verantwortung, Brücken zu bauen, wo Mauern entstehen, und alle Menschen mit ihrer von Gott her zugestandenen und unveräußerbaren Würde zu sehen. Nicht ohne Grund hat das Bistum Trier sein Engagement bei den Protesten im Januar 2024 mit der Aussage des Widerstandskämpfers Willi Graf überschrieben: „Jeder Einzelne trägt die ganze Verantwortung.“ 

Am 22. Februar 2024 hat die Deutsche Bischofskonferenz bei ihrer Frühjahrs-Vollversammlung einstimmig die Erklärung „Völkischer Nationalismus und Christentum sind unvereinbar“ verabschiedet. Die Handlungsempfehlungen, die Sie auf dieser Seite vorfinden, sind die Konsequenzen daraus. Die Bischofskonferenz hat sie erlassen und richtet sich damit an alle Hauptamtlichen und Engagierten in den Pastoralen Räumen, Pfarreien, Gremien und Einrichtungen unseres Bistums. Sie sollen praktische Leitlinien und Hilfestellungen aufzeigen, wie man vor Ort im Umgang mit Extremismus agieren kann. Ich lege Ihnen diese Empfehlungen gern ans Herz, auf dass wir damit gemeinsam dazu beitragen, dass das Gefühl der Zusammengehörigkeit in Kirche und Gesellschaft vor jeder Polarisierung und Ausgrenzung gestärkt wird. Ich danke Ihnen für Ihr diesbezügliches Engagement! 

Kontakt Generalvikar

Florian  Gepp

Florian Gepp

Referent des Generalvikars

Geschäftsstelle Diözesane Räte und Umweltkommission

Aus dem Papier

Hier finden Sie die Zusammenfassung des Papiers "Erläuterungen zum Umgang mit extremistischen Positionen, die im Widerspruch zu tragenden Grundsätzen der katholischen Kirche stehen" - eine Hilfe zur Auslegung von Artikel 6 und 7 der Grundordnung des kirchlichen Dienstes der DBK (Nr.9; Seite 32-25).

Die Grundordnung des kirchlichen Dienstes bietet eine gute Rechtsgrundlage für den Umgang mit extremistischen Positionen, die im Widerspruch zu den tragenden Grundsätzen der katholischen Kirche stehen. Dabei ist die Grundordnung nicht nur auf hauptamtlich Mitarbeitende anwendbar, sondern auch auf Kleriker und Kandidaten für das Weiheamt sowie auf ehrenamtlich Tätige, die Mitglieder eines Organs sind. Dies gilt jedenfalls analog auch für Mitglieder eines pastoralen Organs. Auch bei Ehrenamtlichen, die keine Organmitglieder sind, können die Grundsätze aus der Grundordnung herangezogen werden, da auch diese kirchenrechtlich ihre Tätigkeit im Geist des Evangeliums, mithin am Sendungsauftrag der Kirche, auszurichten haben.

Grundsätzlich wird nach der Grundordnung von allen Mitgliedern im kirchlichen Dienst die Identifikation mit den Zielen und Werten der kirchlichen Einrichtung erwartet (Artikel 6 Absatz 1 und 2 GrO). Dazu zählen regelmäßig die tragenden Grundsätze der katholischen Kirche wie insbesondere das christliche Menschen- und Gottesbild, das Konzept einer Menschheitsfamilie und das allen Menschen geltende Gebot christlicher Nächstenliebe. Diese tragenden Grundsätze der katholischen Kirche sind mit extremistischen Positionen oder einer völkisch-nationalen Gesinnung, die auf eine unveränderliche kulturelle Identität und homogene Abstammungsgemeinschaft abzielt und Menschen infolgedessen systematisch und regelmäßig ausgrenzt, nicht vereinbar. Entsprechend formuliert die Grundordnung als Regelbeispiel, dass eine kirchenfeindliche Betätigung dann vorliegt, wenn – unabhängig von der Mitgliedschaft oder Betätigung in einer Partei oder Organisation – Fremdenhass propagiert wird, also öffentlich fremdenfeindliche, rassistische oder antisemitische Äußerungen getätigt werden (Artikel 7 Absatz 3 Satz 3, 1. Regelbeispiel GrO).

Sofern keine derartigen öffentlichen Äußerungen oder Handlungen vorliegen, kann dennoch ein Fall von Artikel 7 Absatz 3 GrO gegeben sein. Danach können kirchenfeindliche Betätigungen, die nach den konkreten Umständen objektiv geeignet sind, die Glaubwürdigkeit der Kirche zu beeinträchtigen, rechtlich geahndet werden. Kirchenfeindliche Betätigungen erfassen dabei Handlungen, die öffentlich wahrnehmbar sind und sich gegen die Kirche oder deren Werteordnung richten. Spiegelbildlich bestimmt Artikel 6 Absatz 5 GrO, dass nicht eingestellt wird, wer sich kirchenfeindlich betätigt.

Die Schwelle einer öffentlich wahrnehmbaren Handlung kann insbesondere überschritten sein, wenn eine Person sich aktiv politisch in einer extremistischen Partei oder Organisation betätigt. Im Einzelfall ist dann zu prüfen, ob durch diese kirchenfeindliche Betätigung auch die Glaubwürdigkeit der Kirche beeinträchtigt ist.
Inwiefern eine Beeinträchtigung vorliegt, hängt davon ab, welche kirchenspezifischen Anforderungen an die einzelne Person gestellt werden können und wie schwer ein Verstoß gegen diese zu gewichten ist. Dabei kann nicht von jedem Mitglied im kirchlichen Dienst dasselbe Maß an Identifikation mit den Zielen und Werten der katholischen Einrichtung und damit auch den tragenden Grundsätzen der katholischen Kirche erwartet werden. Vielmehr muss zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in Orientierung an Stellung und Aufgabe des Mitarbeitenden oder Ehrenamtlichen eine Abstufung der Anforderungen erfolgen. Bezüglich des geforderten Maßes an Identifikation empfiehlt sich eine dreigliedrige Einstufung.

Ein besonders hohes Maß an Identifikation mit den Zielen und Werten der Einrichtung und damit auch mit den tragenden Grundsätzen der katholischen Kirche im Sinne eines aktiven Eintretens und Förderns ist von Personen, die katholische Einrichtungen und Verbände leiten, sowie von Klerikern zu erwarten (Kategorie 1). Dies bedeutet, dass bei dieser kirchlich besonders exponierten Personengruppe bereits die Mitgliedschaft in der AfD, die nach außen bekannt wird, sowie jegliche andere Aktivität in der oder für die Partei oder Organisation objektiv geeignet sind, die Glaubwürdigkeit der Kirche zu beeinträchtigen.

Ein gesteigertes Maß an Identifikation ist von Personen zu erwarten, die unterhalb einer gehobenen Leitungsfunktion wegen ihrer besonderen Verantwortung für die katholische Identität das katholische Profil der Einrichtung inhaltlich prägen, mitverantworten und nach außen repräsentieren. Dies gilt auch für Personen, die pastoral, liturgisch oder katechetisch tätig sind oder wegen ihrer funktonalen Nähe als Teil dieser Bereiche in Erscheinung treten. Dies gilt zudem für wertevermittelnde Tätigkeiten, insbesondere im pädagogischen, erzieherischen oder sozialpädagogischen Bereich, ferner auch in solchen Tätigkeitsbereichen, in denen die Kirche beziehungsweise kirchliche Einrichtung darauf angewiesen ist, dass die Mitarbeitenden oder Ehrenamtlichen ihre Tätigkeit in aktiver Übereinstimmung mit dem christlichen Menschen- und Gottesbild und dem Gebot der Nächstenliebe praktizieren, also tätige Nächstenliebe ausüben.

Gleiches gilt, wenn das Mitglied im kirchlichen Dienst diese tragenden Grundsätze nach innen oder nach außen mitrepräsentiert. Die genannten Personen fallen unter die Kategorie 2. Eine Mitgliedschaft in einer Partei oder einer extremistischen Organisation oder ein Eintreten für diese alleine ist aber nicht ausreichend, um hieran unmittelbar rechtliche Konsequenzen zu knüpfen. Sie liefert jedoch Anhaltspunkte dafür, dass berechtigte Zweifel an der zu erwartenden Loyalität der oder des Mitarbeitenden/Ehrenamtlichen bestehen. Zu betrachten ist, ob sich die Zweifel etwa aufgrund des dienstlichen oder außerdienstlichen Verhaltens erhärten. In dem zu führenden Personalgespräch beziehungsweise Gespräch mit der oder dem Ehrenamtlichen ist auch das persönliche Verständnis der betroffenen Person relevant, ob und inwieweit sie die tragenden Grundsätze der katholischen Kirche bejaht und ob sie bereit ist, sich von extremistischem Gedankengut, das diesen Grundsätzen widerspricht, zu distanzieren. Je nach Intensität der Aktivität der oder des Haupt- oder Ehrenamtlichen in der extremistischen oder für die extremistische Partei oder Organisation und ihrer oder seiner Stellung und Funktion innerhalb der Kirche beurteilen sich dann das Maß an Distanzierung sowie die Frage, ob die Einstellung von Aktivitäten oder/und die Niederlegung des Amtes erforderlich ist, um einer Beeinträchtigung der Glaubwürdigkeit der Kirche wirksam zu begegnen.

Zu der dritten Kategorie gehören alle Mitarbeitenden und Ehrenamtlichen, auf die die zuvor genannten Merkmale nicht zutreffen. Ihnen obliegt eine einfache Identifikation im Sinne einer Akzeptanz der Ziele und Werte der Einrichtung und der tragenden Grundsätze der Kirche, und es darf kein Verhalten bestehen, das darauf ausgerichtet ist, dem kirchlichen Ethos entgegenstehende Ziele der extremistischen Partei oder Organisation zu fördern oder zu verwirklichen beziehungsweise die tragenden Grundsätze der Kirche nach außen zu bekämpfen oder verächtlich zu machen. In dem Personalgespräch ist der Widerspruch zu den tragenden Grundsätzen der Kirche zu erörtern. In dieser Kategorie folgen jenseits einer eventuellen Ermahnung nur in Ausnahmefällen weitere arbeitsrechtliche Konsequenzen. In Bezug auf arbeitsrechtliche Konsequenzen ist stets der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu wahren.

Bei Ehrenamtlichen kann bei der Abwägung Berücksichtigung finden, dass sie mangels Verlustes des Arbeitsplatzes nicht denselben Schutz genießen, wie er hauptamtlich Mitarbeitenden in arbeitsrechtlicher Hinsicht zukommt.

Als Grundgedanke gilt, dass ein offenes und aufklärendes Gespräch mit dem Mitglied im kirchlichen Dienst – unabhängig auch von den zu erwartenden Konsequenzen – stets zu führen ist. Es kann dazu beitragen, der Person die Unvereinbarkeit rechtsextremistischen Gedankenguts mit tragenden Grundsätzen der katholischen Kirche zu verdeutlichen und sie zu einer Neuorientierung oder einem Richtungswechsel zu ermutigen.

Abzugrenzen ist dies regelmäßig von pastoralen Situationen. Die katholische Kirche ist eine (zu-)hörende Kirche, die stets im offenen und respektvollen Dialog mit den Menschen ist und auch bleibt. Die Teilnahme am gemeindlichen Leben selbst, an den Gottesdiensten und an den Sakramenten bleibt ausdrücklich stets erwünscht.

Grundlagen

Häufige Fragen (FAQ)

Die Mitgliedschaft in einer extremistischen Partei oder Organisation, wie der AfD, kann und darf nicht zum Ausschluss vom Gottesdienst, von seelsorglicher Begleitung oder der Teilnahme an den Sakramenten führen. Dies gilt selbstverständlich auch für Familienangehörige von Personen, die in Organisationen mit extremistischen Positionen sind. Bei pastoralen Gesprächen sollte jedoch klar benannt werden, dass die Ansichten von Parteien oder Organisationen mit extremistischen Positionen, wie etwa der AfD, mit dem christlichen Menschenbild und mit christlichen Grundüberzeugungen unvereinbar sind.

Ja, aber innerhalb der Grenzen, die in den Papieren der Bischofskonferenz beschrieben sind. 

Ja, es ist gewünscht, sich aktiv für Demokratie einzusetzen. Bitte überprüfen Sie, wer die Veranstalter sind, dass diese sich etwa von Gewalt in jedweder Form distanzieren und deren Haltungen sich nicht grundsätzlich im Gegensatz zu den Haltungen von Christ*innen befinden. 

Kirchliche Räume werden für Veranstaltungen oder Versammlungen für extremistische oder kirchenfeindliche Organisationen und Parteien nicht zur Verfügung gestellt.

Weiterführende Definitionen

Zentral für die rechtsautoritäre Strategie ist es, sich Begriffe des gesellschaftlichen oder wissenschaftlichen Diskurses anzueignen, diese neu zu besetzen und eine Bedeutungsverschiebung im Sinne der eigenen Zwecke und politischen Ziele zu erreichen. 
 Ein Beispiel für diese Strategie ist der Begriff „Demokratie“. Es wird versucht „demokratisch“ gleichzusetzen mit der Legitimation durch eine demokratische Wahl. Nach dieser Logik ist dann z.B. jede Partei, die durch eine demokratische Wahl in ein Parlament gewählt wird oder Ämter besetzt automatisch demokratisch. Es spielt dann keine Rolle mehr ob die vertretenen Positionen menschenrechtsorientierten demokratischen Werten widersprechen, ob grundlegende Prinzipien der Verfassung, wie der Schutz der Menschenwürde, Minderheitenrechte, Gleichstellung, Meinungs- und Pressefreiheit bekämpft werden oder sogar die Abschaffung der Demokratie selbst das Ziel ist. 

Wie der Begriff der Demokratie umgedeutet werden kann, damit hat sich Leo Löwenthal bereits in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts auseinandergesetzt, als er faschistische Agitation in den USA analysiert hat. 

„Der Agitator verdreht den Sinn der Grundideale, indem er sie mit seinen eigenen Absichten verquickt… So wird Demokratie aus einem System, das das Minoritätenrecht garantiert, in ein System verwandelt, das den privilegierten Status der Majorität zu bestätigen hat. Die Verfolgung der Minoritäten gehört demnach zu den Rechten der Majorität, und jeder Versuch, die Ausübung dieses Rechts zu begrenzen, wird als Verfolgung der Majorität durch die Minorität ausgelegt. Eine derartige Interpretation der Demokratie ist aber gleichbedeutend mit ihrer Negierung.“ (Löwenthal 2017, S.46) 

In rechtsautoritären und verschwörungsideologischen Kreisen wird oft vom sogenannten „Volkswillen“ gesprochen. Die angeblich „fremdgesteuerten Eliten“ wären nicht bereit diesen Volkswillen umzusetzen und deswegen begingen sie einen Verrat am Volk. Eine solche Verschwörungserzählung ist strukturell antisemitisch und sie setzt die Konstruktion eines homogen gedachten Volkes voraus, dass mit dem modernen Staatsbürgerrecht nicht vereinbar ist. 

„Das völkische Volk ist der Gegenentwurf zur demokratischen Nation, während in der demokratischen Nation alle Bürger/innen ungeachtet ihrer kulturellen, religiösen oder tethnischen Selbstzuschreibung politische Subjekte sind, fordert das Konzept des völkischen Volkes den Ausschuss aller Menschen, die nach vorpolitischen Kriterien – also solchen, die rein zufällig und ohne bewusste Entscheidung des Menschen von Dritten als relevant unterstellt werden – nicht zu einem ethnisch homogen phantasierten Kollektiv gehören. Das Subjekt der demokratischen Nation ist der Demos (griech. Demos: Staatsvolk/Gemeinde), während das völkische Volk den Ethnos (griech. Ethnos: Volksstamm) als Grundlage seines Politikverständnisses erklärt.“ (Salzborn 2017, S.31) 

Auf dieses grundsätzlich unterschiedliche Demokratieverständnis gehen auch die Bischöfe in ihrer Erklärung ein. 

Deswegen ist es wichtig sich nicht nur allgemein auf die Demokratie zu beziehen, sondern diesen Begriff normativ zu bestimmen und sich beispielsweise zu einer menschenrechtsorientierten Demokratie zu bekennen und den in Artikel 1 des Grundgesetztes beschriebenen Schutz der Menschenwürde immer wieder hervorzuheben. Eine menschenrechtsorientierte Demokratie zielt darüber hinaus, auf die weitere Demokratisierung der Gesellschaft und ist daher nicht gleichzusetzen mit der Verteidigung des Status quo. 

Rechtsautoritäre  Diskursstrategie       

Für das bewusste Umdeuten von Begriffen gibt es einige weiteren Beispiele. Auf einige aktuell im rechtsautoritären Diskurs besonders häufig genutzte Begriffe soll im Folgenden kurz eingegangen werden.  

Das Bewusste Verwechseln von Meinungsfreiheit und Widerspruchsfreiheit ist eine der am häufigsten angewandten rhetorischen Tricks der autoritären Rechten und eine Strategie die leider immer noch erschreckend gut funktioniert. Alle Aussagen, die in das eigene Weltbild passen, sind dabei Ausdruck von Meinungsfreiheit, auch dann, wenn diese Aussagen gegen geltendes Recht oder Menschenrechte verstoßen. Die Kritik an solchen Aussagen wird aber nicht als Ausdruck von Meinungsfreiheit gewertet, sondern als angebliche Einschränkung der eigenen Meinungsfreiheit diffamiert.  
 Jeder Widerspruch bietet dann die Möglichkeit zur eigenen Inszenierung als angebliches Opfer von Ausgrenzung und Meinungsdiktatur. Am Ende wird aus dieser Vorstellung von Meinungsfreiheit tatsächlich Zensur: Es ist grundsätzlich nicht erlaubt, rechten Agitator*innen zu widersprechen.  

Das Eintreten für die im Grundgesetz unter Schutz gestellte Menschenwürde oder für Gleichstellung wird häufig als Ideologie diskreditiert. Hiervon sind vor allem öffentliche Einrichtungen wie z.B. Jugendeinrichtungen, Schulen und Universitäten in besonderem Maße betroffenen. Wenn beispielsweise die angebliche ideologische Indoktrination von Schüler*innen in Schulen beklagt wird, wird hier bewusst Ideologie und Ideologiekritik verwechselt.   

Wenn Schüler*innen im Unterricht lernen, dass Menschen gleichwertig sind, unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Aussehen, Status, sexueller Orientierung oder geschlechtlicher Identität, ist dies eine am Grundgesetz orientierte Beschäftigung mit gesellschaftlichen Verhältnissen. Die Auseinandersetzung mit entsprechenden Abwertungskonstruktionen ist eine kritische Auseinandersetzung mit in der Gesellschaft weit verbreiteten Ideologien der Ungleichwertigkeit (s.o.).  

Es wird ebenfalls versucht, emanzipatorisches Engagement insgesamt zu diskreditieren, indem es als angeblich „linkes Elitenprojekt“ geframt wird. Mit Schlagworten wie „Cancel Culture“, „political correctness“ oder dem verschwörungsideologischen Begriff des „Kulturmarxismus“, werden die Sichtweisen marginalisierter Gruppen und der Kampf um Gleichberechtigung lächerlich gemacht. Besonders problematisch ist der Versuch, diskriminierten Gruppen eigene Machtinteressen oder bereits vorhandene Macht zu unterstellen. Am weitesten Verbreitung findet diese Strategie bei antisemitischen Verschwörungserzählungen. Sie findet sich aber auch in der Rede von einer angeblichen „Homolobby“ oder „Femokratie“. 

Diese Umdeutung der Begriffe Demokratie, Meinungsfreiheit und Ideologie führen in der Konsequenz zu einer missbräuchlichen Verwendung des Neutralitätsbegriffes.  
 Explizit benannt ist ein Neutralitätsgebot im Beamtenrecht. Verwaltungen und Politiker*innen die Ämter bekleiden sind in der Ausübung ihres Amtes zu Neutralität verpflichtet und haben die Chancengleichheit der Parteien zu wahren. Das bedeutet z.B., dass Mittel der Verwaltung nicht für parteipolitische Zwecke genutzt werden dürfen.  

In der Auseinandersetzung um dieses Neutralitätsgebot kommt es aber immer wieder zur Verwechselung oder auch dem bewussten Verwischen des Unterschiedes zwischen parteipolitischer Neutralität und einer menschenrechtsorientierten demokratischen Haltung, die auch die kritische Auseinandersetzung mit menschenverachtenden Ideologien wie Rassismus oder Antisemitismus erfordert.  

So sind z.B. im schulischen Kontext und in der Jugendarbeit Pädagog*innen zu parteipolitischer Neutralität verpflichtet, d.h. sie dürfen keine Wahlwerbung oder Werbegeschenke einer Partei verteilen oder zur Wahl einzelner Kandidat*innen aufrufen. Aber aus der Unantastbarkeit der Menschenwürde und der Forderung zu ihrem Schutz, die in Artikel 1 des Grundgesetzes festgeschrieben ist, leitet sich sehr deutlich die Verpflichtung zum Einsatz gegen Diskriminierung und Ungleichwertigkeitsvorstellungen ab. Das klare Eintreten gegen Antisemitismus, Rassismus, Sexismus oder anderen Ungleichwertigkeitsvorstellungen stellt keine Verletzung dieser Neutralitätspflicht dar. Sie ist im Gegenteil sogar die Aufgabe von Pädagog*innen in einem demokratischen Staat. Und dies deckt auch das Aufzeigen menschenfeindlicher Punkte in Parteiprogrammen einzelner Parteien mit ab.  

Verwaltungsmitarbeiter*innen aber besonders Pädagog*innen sind daher nicht nur legitimiert, sondern aufgefordert, deutlich Position zu beziehen für die im Grundgesetz verankerten Grund- und Menschenrechte. Haltung zu zeigen und deutlich zu benennen, wo diese Grund- und Menschenrechte in Frage gestellt werden und darüber auch mit Schüler*innen und den Teilnehmenden an pädagogischen Angeboten ins Gespräch zu kommen ist die Aufgabe von Schule und Jugendarbeit. 

Rechtsautoritäre Agitation arbeite vor allem mit emotionaler Kommunikation. Wissenschaftliche Erkenntnisse und Fakten werden ignoriert oder nicht anerkannt, wissenschaftliche Arbeiten nur dort akzeptiert, wo sie die eigene Meinung stützen. Hierdurch wird die Freiheit von Forschung und Lehre genauso in Frage gestellt, wie die Pressefreiheit durch Verunglimpfung und Angriffe auf Pressevertreter*innen. Ein Interesse an der Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen besteht nicht. Es werden Ressentiment geschürt und der Rahmen des sagbaren wird durch bewusste Tabubrüche erweitert. Das komplexe Weltgeschehen und alle negativen Entwicklungen und Ereignisse werden dabei gerne auf klar bestimmbare „böse Mächte“ zurückgeführt.   

Dadurch wird auf der einen Seite das Vertrauen in Fakten zerstört und auf der anderen Seite ein absoluter „gefühlter“ Wahrheitsanspruch postuliert. Sinnvolle und unaufgeregte gesellschaftliche Debatten, die der Komplexität der Herausforderungen gerecht werden, werden immer schwieriger.   

Auch diese Strategie wurde bereits von Leo Löwentahl beschrieben: „Im Gegensatz zum Reformer oder Revolutionär macht der Agitator keine Anstrengungen, die Spuren sozialer Unzufriedenheit bis auf deutlich definierbare Ursachen zurückzuverfolgen. In der Tat tritt der Gedanke an eine objektive Ursache gänzlich in den Hintergrund; was übrig bleibt ist einerseits das objektive Unbehagen und andererseits der persönlich dafür verantwortliche Feind“.(Löwenthal 2017, S.21)  

Ein an Fakten und Menschenrechten orientierter Diskurs ist dieser Form der emotionalisierten Ansprache gegenüber strategisch im Nachteil. Eine mit nichts zu belegende hasserfüllte Aussage ist leicht getätigt und findet schnell Zustimmung. Um dem zu widersprechen, bedarf es deutlich mehr Anstrengung und oft auch viel Mut.

Weiterführende Links