Als Leitwort für seinen bischöflichen Dienst hat Bischof Dr. Stephan Ackermann die betende Anrede „In deinem Licht, o Herr“ gewählt. Diese greift in verkürzter Form den Lobpreis aus Psalm 36,10 auf, der vom Gott Israels bekennt: „Denn bei dir ist die Quelle des Lebens, in deinem Licht schauen wir das Licht“.
In deinem Licht schauen wir das Licht
Wie entscheidend die Beschaffenheit des Lichtes und sein jeweiliger Einfall für die Wahrnehmung von Landschaften, Gebäuden, Gemälden, Inschriften und anderen Objekten sind, wissen nicht nur Fotografen und Beleuchter. Licht erst lässt Gegenstände wahrnehmen, lässt sie in bestimmter Weise erscheinen, kann sie gleißend umfluten oder nur in Konturen abzeichnen. Das Licht bestimmt entscheidend unsere Wahrnehmung.
Wer sich vergewissert „In deinem Licht, o Herr“, möchte die Welt und die Menschen im Licht Gottes wahrnehmen. Zugleich stellt er sich in die Gemeinschaft derer, die mit dem Psalmwort „In deinem Licht schauen wir das Licht“ danken. Denn „Licht sehen“ bedeutet in biblischem Sprachgebrauch so viel wie „leben“: Daher Dank dafür, aus Gott leben zu dürfen! Daher Bitte darum, die Welt und die Menschen so sehen zu dürfen und zu können, wie sie von Gott her zu sehen sind! Welche großartige Perspektive sich damit eröffnet, stellt Psalm 36 ermutigend vor Augen: Der in den Versen 2-5 skizzierten Welt des Bösen (auch in uns) stellen die Verse 6-10 die Güte, Treue und Gerechtigkeit Gottes gegenüber, welche die ganze Schöpfung gleichsam durchfluten. Ja, diese unendliche Güte Gottes, die wie erhellendes, wärmendes, Leben förderndes Sonnenlicht empfunden wird, will für Menschen und Tiere hilfreich sein, d.h. sie will die gesamte Schöpfung retten.
Bei dir ist die Quelle des Lebens
In welcher Weise Gott hilft und rettet, wie seine Huld erfahrbar wird, sprechen emotionale Bilder an: Menschen können sich bei Gott geborgen wissen, wie Nestküken unter den schützenden Flügeln ihrer Vogelmutter. Sie können „sich laben am Fett des Hauses“ Gottes, sie können sich in die am Tempel Festmahl haltenden Opfergemeinschaften einreihen. Hier tafeln sie gleichsam am Strom der Wonnen; eine Anspielung auf die mit dem Jerusalemer Tempelberg verbundene Vorstellung der Lebensquelle, die dort – wie im Garten Eden – entspringt. All dies hält Gott in seiner Huld bereit, denn „bei ihm ist die Quelle des Lebens“ zu finden. Wirkliches Leben – das ist die Überzeugung der Psalmdichtung - ist letztlich Teilhabe am Leben Gottes.
Licht - Leben
In das Brustkreuz von Bischof Stephan sind die griechischen Worte „ΦΩΣ - Phos“ ("Licht“) auf dem vertikalen Balken und „ΖΩΗ - Zoe“ ("Leben") auf dem horizontalen so eingefügt, dass sie sich im gemeinsamen mittleren Buchstaben, dem Omega, überschneiden: Die beiden entscheidenden Begriffe aus Psalm 36,10 (bzw. nach der Zählung der altgriechischen Übersetzung: Ps 35,10) sind so zum „Kreuzwort“ geworden, nicht als Rätsel, sondern als Bekenntnis und Einladung. Darin findet die christliche Überzeugung und auch des Bischofs persönlicher Glaube Ausdruck: Im Blick auf den Gekreuzigten und vom Kreuz her, also im Licht des Kreuzes, können wir Gottes Güte und Gerechtigkeit für die Menschen in besonderer Weise erahnen. Denn sie scheinen im Antlitz dessen auf, von dem der Prolog des Johannesevangeliums bezeugt: „In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen“ (Joh 1,4). Und er, der nach der Offenbarung des Johannes das Alpha und das Omega ist, der Anfang und das Ende, lädt alle ein: „Wer durstig ist, den werde ich umsonst aus der Quelle trinken lassen, aus der das Wasser des Lebens strömt“ (Offb 21,6).
Wer sich als Bischof das Leitwort wählt „In nomine tuo, Domine – In deinem Licht, o Herr“, möchte die Welt und die Menschen im Licht der grenzenlosen Güte Gottes wahrnehmen, die wir an Jesus von Nazaret konkret ablesen können. Wir wünschen und erbitten unserem Bischof, dass ihm diese Perspektive für seinen Dienst je neu geschenkt werde und erhalten bleibe.
Reinhold Bohlen